Die Kyburz-Orgel im Kloster Visitation und ihre Rolle in Amandas Leben

Im Sommer 1886 schrieb Amanda Amiet-Engel in ihr Tagebuch: "Es ist heute ein Jahr, daß uns der hochwürdige Bischoff Doct. Fiala in der stillen Visitanten-Kirche zur heiligen Ehe segnete." 

Amanda Engel und Arnold Amiet hatten am 14. Juli 1885 geheiratet; zur Hochzeit muss die Orgel erklungen sein, die der Onkel der beiden, Charles Louis Kyburz, im Jahr 1864 erbaut hatte.

Diese Kyburz-Orgel wurde 2022 durch die Firma Metzler, Dietikon, restauriert und am 6. November 2022 gesegnet; der Solothurner Domorganist Benjamin Guélat spielte das Einweihungskonzert.

Foto: Blick von der Orgelempore in den Altarraum der Klosterkirche, Sommer 2021 (Mara Meier) 

Die beiden solothurnischen Orgelbauer Johannes Kyburz (1777–1844) und Franz Joseph Otter (1761–1807) wanderten gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach Barcelona aus. Sie bauten u.a. für die Marienkirche in Mahón (Menorca) eine grosse Orgel.

Auf Menorca lernte Johannes Kyburz die junge Marta Paganini kennen und heiratete sie. Als erstes von sieben Kindern des Paares wurde 1822 Sophie geboren. Nach der Rückkehr der Familie in die Schweiz betrieb Johannes Kyburz seine Orgelbaufirma im Loretohof an der Florastrasse  in Solothurn.

Der zweitjüngste Sohn, Karl Alois Maria Joseph Ludwig, genannt Louis Kyburz, wurde ebenfalls Orgelbauer. Er lernte beim Orgelbaumeister E.F. Walcker in Ludwigsburg und führte die väterliche Firma bis ungefähr1880 weiter.

Sophie Kyburz heiratete den Juristen und Kantonsrat Jakob Amiet; einer ihrer Söhne war Arnold Amiet (1857-1900), ebenfalls Jurist und später Oberrichter.

Foto: Blick in die restaurierte Kyburzorgel in der Visitation, Mara Meier, 6.11.2022

Arnold Amiet war ein Cousin seiner späteren Frau Amanda Engel, der Tochter seiner Tante Jeannette Engel-Amiet. Sophie Amiet-Kyburz war Amandas angeheiratete Tante und ihr Bruder, der Orgelbauer Louis Kyburz, somit der Onkel von Arnold und Amanda.

Amanda korrespondierte bereits als junges Mädchen ausgiebig mit ihrem fünf Jahre älteren Cousin Arnold. In einem Brief, den sie ihm zu Beginn der 1880er Jahre nach Leipzig schickte, wo er damals Jus studierte, schreibt sie, dass ihre und Arnolds "Kinder" die Malerei und die Musik sein würden. 

Ihre Vorausahnung erfüllte sich: Arnold und Amanda sangen im Domchor und im Caecilienverein; Amanda wurde Malerin. Die Ehe blieb kinderlos.

Arnold Amiet und Amanda Amiet-Engel, ca. 1885. Foto: Archiv Tröndle (mit freundlicher Genehmigung).

Die Orgel im Kloster Visitation ist das einzige von den Instrumenten von Louis Kyburz, das sich noch am ursprünglichen Standort befindet. Zu Kyburz' Lebzeiten galten seine Orgeln als modern und genossen einen guten Ruf. Leider sind nur noch zwei davon erhalten.

Die Orgel der Visitation ist heute als eine der ältesten Kegelladenorgeln der Schweiz bekannt. Sie hat noch alle Register, mit denen Louis Kyburz sie ausstattete (bis auf die Viola da Gamba, die nun von der Orgelbaufirma Metzler rekonstruiert wurde, nachdem sie bei einer früheren Restaurierung ausgewechselt worden war).

Eine Besonderheit der Orgel ist die "Physharmonika" (durchschlagendes Zungenregister). Für eine genaue Beschreibung der Orgel und ihrer Restaurierung 2022 sei hingewiesen auf die folgende Publikation: Benjamin  Guélat und Hans-Rudolf Binz: Die restaurierte Kyburz-Orgel im Kloster Visitation Solothurn.

Nun erklingt die Orgel wieder so schön und einzigartig, wie sie das am Tag der Hochzeit von Amanda und Arnold Amiet-Engel tat! Damals sah die Orgel übrigens noch etwas anders aus; der mittlere Turm hatte einen Aufsatz und das Gehäuse war holzfarbig. Heute ist es schwarz-weiss marmoriert.

Foto: Kyburzorgel in der Visitation, Mara Meier, 6.11.22