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Zinnoberrot

Mich haben Geschichten über Farben, ihre Namen, ihre Herkunft, Chemie, Verwendung und Wirkung schon immer fasziniert. Als ich "Im Sommer sind die Schatten blau" schrieb, gab mir dieser Roman über das Leben der Malerin Amanda Tröndle-Engel Gelegenheit, meiner Leidenschaft ausgiebig zu frönen.

 

Die einzelnen Kapitel benannte ich nach Farben, die zur jeweiligen Stimmung passten. Ein Titel lautet "Zinnoberrot", nach der leuchtenden Farbe des Halstuchs einer Bäuerin, welche Amanda Modell sass, und nach Amandas Zorn, der rot auf ihren Wangen blühte.

 

Ob Amanda noch mit echtem Zinnoberrot gemalt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Anita Albus jedenfalls bedauert das Verschwinden des Zinnobers aus der modernen Malerei. Es sei nur noch der Schein davon übriggeblieben, ein "körperloses Cadmiumrot" ohne Quecksilber und Schwefel. Nur zu Restaurationszwecken werde noch echtes Zinnober von Spezialfirmen hergestellt. 

kostbar und Teuer

Zinnoberrot ist Quecksilbersulfid (HgS) und kommt natürlich als Cinnabarit vor, ein Mineral, das rote Kristalle bildet. Der Stein kann fein gemahlen als Pigment verwendet werden.

 

Zinnoberrot war bereits in der Antike bekannt. Es war kostbar und sehr teuer. Auf den Wandmalereien in Pompeji prunkt und leuchtet es noch heute. 

 

Ein erstes Rezept zur künstlichen Herstellung von Zinnoberrot findet sich in einem Manuskript aus dem 8. Jahrhundert, obwohl schon frühere Alchemisten behaupteten, sie kennten dafür eine Methode.

 

Zwischen dem 8. und dem 18. Jahrhundert wurde Zinnober auf dem "trockenen"  Weg synthetisiert: Aus Quecksilber und Schwefel macht man schwarzes Merkursulfid, welches man pulverisiert und auf dem Feuer in Tongefässen erhitzt.

Der Stoff sublimiert und schlägt sich in Form roter Kristalle an den Wänden des Gefässes nieder: ein wahrhaft alchemistischer Vorgang! (Jedoch nicht ganz ungefährlich, denn Quecksilberdämpfe sind hochgiftig.)

 

Das Rezept für Zinnober kam ursprünglich aus China und dann in die islamische Welt, von wo der "Rote Drache" zu den abendländischen Alchemisten gelangte. Die Verwandlung von Schwarz zu Rot beruht darauf, dass die kubische Struktur des schwarzen Merkursulfids zu den hexagonalen Kristallen des Zinnobersublimats wird. Dieses muss nach der Gewinnung lange und sorgfältig von Hand gerieben werden, damit das intensive Rot zu leuchten beginnt. 

 

Das modernere "nasse" Herstellungsverfahren ist billiger und weniger aufwendig. Allerdings hat Zinnober, der auf diese Weise hergestellt wird, eher die Neigung, ins Schwarze zu kippen, vor allem in Kontakt mit Wasser und Sonnenlicht. Zinnober, der aus Cinnabarit gewonnen oder auf dem "trockenen" Weg sublimiert wird, hat ebenfalls diese Tendenz, wenn auch etwas weniger ausgeprägt. In Pompeji wurden die roten Wände aus diesem Grund mit feinen Wachsschichten geschützt, sagt Max Koerner, und er vermutet, dass die Krapplacklasuren der alten Meister demselben Zweck dienten.

 

Im Englischen unterscheidet man zwischen bergmännisch gewonnenem Zinnober aus Cinnabarit (cinnabar) und auf chemischem Weg hergestelltem (vermillion). Georg Seufert schreibt, Zinnober sei "leuchtend, feurig" und variiere je nach Herkunft und Beimengungen "von orangerot, scharlachrot über cochenillerot bis bläulichrot, weinrot, braunrot ..." - doch heute verstehen wir unter "Zinnober" ein normiertes Einheitsrot, das auf Cadmium basiert. Ich kann das Bedauern von Anita Albus über das Verschwinden des lebendigen, körperhaften Zinnoberrots gut verstehen.

BIBLIOGRAFIE

- Anita Albus: Die Kunst der Künste: Erinnerungen an die Malerei. Frankfurt am Main: Diana Verlag, 1999. (Kapitel "Zinnober: S. 308-317)

- Georg Seufert: Farbnamenlexikon von A-Z. Göttingen: Musterschmidt Verlag, 1955

- Kassia St. Clair: Die Welt der Farben. Hamburg: Tempo, 2017. (Kapitel "Zinnoberrot": S. 166-169)

- Mara Meier: Im Sommer sind die Schatten blau: Amanda Tröndle-Engel. Romanbiografie. Basel: Zytglogge, 2022

- Max Doerner: The Materials of the Artist and their Use in Painting. London: George G. Harrap & Co., 1949

- Wikipedia-Eintrag: Cinnabarit (abgerufen am 27.07.2022)

Bildnachweis

Vorschau-Bild: Zinnoberrot heute. Foto: Mara Meier, 2022

Illustration im Text: Zinnoberrote Rosen. Foto: Mara Meier, 2022

Illustration im Text: Wandmalerei, Pompeji. Foto: Brenda Natali Zevallos, 2022